9/06/2016

GRACE JONES: I'LL NEVER WRITE MY MEMOIRS

GENIUS | GENDER | GRACEFUL


Wenn eine Ikone wie Sie eine Autobiographie schreibt, fragt man sich unwillkürlich, ob man den echten Menschen hinter dem Image überhaupt kennen lernen will und im Fall von Grace Jones, ob Sie überhaupt ein echter Mensch ist: Zu konstruiert erscheint sie in all den Kunstformen, in denen sie sich bereits präsentierte. Sie ist zugleich Disco-Queen, Bond-Bösewichtin, Menschmaschine, altersloses Alien, athletische Verwischerin aller Gender-Thesen und widersprüchliches Wesen: Genauso wie der Titel ihrer Lebenserinnerungen "I'll never write my memoirs" verweigert Jones dem Leser eine eindeutige Deutung ihrer Karriere und sie spielt mit uns, denn eigentlich hat sie mit dem Buch auch gar nicht ihre Memoiren geschrieben, sondern eine weitere Performance in Sachen Kunstfigur hingelegt. Denn wer könnte schon, ohne billig zu wirken, ihr Buch barbusig präsentieren, wenn nicht Miss Grace Jones, mit (vermutlich) 67 Jahren. Ganz die Diva (wobei sie sich dieses Wort verbittet), gibt sie keine genauen Zeitangaben an, darauf bestehend, dass sie ein Wesen aus Energie ist und so will sie auch die Zeit verstanden wissen - diese kann ihrer Meinung nach wie ihr immer noch stets benutzter Hula-Hoop-Reifen hin- und herfließen. Die These scheint der immer jung Wirkenden recht zu geben: Man glaubt ihr, wenn sie sich immer noch wie ein Mädchen fühlt, gleichzeitig jedoch auch Mutter und Model ist. Dabei ist dies keine Forderung an Frauen, alles gleichzeitig zu machen. Jones probiert im Leben einfach alles (und sie beschreibt auch offenherzig wirklich alles) einmal aus, ohne darauf zu achten, wie sie dabei auf andere wirkt oder welche Auswirkungen dies auf ihre Karriere haben könnte: Das ist das wahre feministische Statement in ihrem Buch, das sich liest als würde sie neben einem sitzen, einen Champagner in der Hand und den Finger der anderen elegant auf einer Play-Taste gelegt. Damit spielt sie dann die musikalischen Stationen ihrer Karriere ab, von den Anfangszeiten als Disco-Star der wilden Studio54-Zeiten über die stilprägenden Achtziger Jahre des "Island Life"-Albums bis hin zu ihrem selbstbewussten Comeback "Hurricane". Hier rechnet sie mit der Industrie ab und "Corporate Cannibal" daraus ist ein dämonisches Stück Abrechnung mit einer herzlosen Maschinerie geworden, unter deren Räder Jones jedoch nie kam. Vor einem solchen Schicksal warnt sie in ihren Memoiren ihre Nachfolgerinnnen wie Lady Gaga, Miley Cyrus oder Rihanna, die sie ganz offen des Plagiats rügt. Letztere trug beispielsweise einen bemalten Bodysuit, so dass sie nackt aussah, doch Jones ließ sich den nackten Körper von Keith Haring bemalen. Dies ist der Unterschied zwischen Wagnis und Imitation, zwischen echtem Underground und Mainstream, der mit dem Underground nur flirtet, zwischen Show-Effekt und wahrer künstlerischer Aussage, zwischen dem Ziel doch nur zu gefallen und dem Ziel wirklich unangepasst zu sein. Darum ist Jones zeitlos, ihre Fotos und Videos aus den Achtziger Jahren wirken deshalb auch jetzt noch futuristisch und neu. Insofern passt ein Credo ihres ziemlich inspirativen Buches wunderbar zu der Unfassbaren:

“Even death won’t stop me. It never has. You can find images of me from centuries ago. Faces that look like mine carved in wood from ancient Egypt [...] I have been around for a long time, heart pounding, ready to pounce on my prey [...] tripping, grieving, loving, hunting, conquering, seducing, fighting, dreaming, laughing, and I always will be.”



Sound zum Buch:













http://msshapes.blogspot.de/2016/09/grace-jones-ill-never-write-my-memoirs.html

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